Susann über ihr Abitur
"In der Schule wurde meine politische Haltung abgeklopft"
Susann Uplegger, 43, wurde 1971 in Graal-Müritz geboren, sie hat ihr Abitur in Ost-Berlin gemacht. Sie ist Schauspielerin und war in Fernsehserien wie "Danny Lowinski" und im "Tatort" zu sehen.
Wer in der DDR Schauspieler werden wollte, musste entweder eine Berufsausbildung haben oder Abitur. Weil eine Ausbildung drei Jahre dauerte, das Abitur aber nur zwei Jahre, war mein Wunsch natürlich die Erweiterte Oberschule. Meine Eltern bekamen wegen meines Berufswunsches einen Brief von der Abteilung Volksbildung, in dem stand, es sei "unbedingt erforderlich, durch vielfältige Möglichkeiten der Erziehung in der Familie meine Bereitschaft weiter auszuprägen, persönliche Interessen mit gesellschaftlichen Erfordernissen in Einklang zu bringen". Zum Glück haben sie von den "vielfältigen Möglichkeiten der Erziehung" keinen Gebrauch gemacht. In der Schule gab es ein, zwei Gespräche, um meine politische Haltung abzuklopfen. Aber dann versandeten die Bemühungen, mir meinen Berufswunsch auszureden. Letztendlich habe ich Abitur gemacht und bekam noch im Sommer 1989 den Zulassungsbescheid zum Schauspielstudium an der Theaterhochschule in Leipzig. Das Studium begann für mich und meine Kommilitonen mit zwei Wochen Apfelernte im Leipziger Umland. Während der "Wendezeit" waren wir mit einem Märchenstück auf Leipzig-Tournee. Es war klar, dass jeder, der montags zur Vorstellung nicht pünktlich erscheint, auch nicht mehr kommen wird, weil er auf dem Weg nach Ungarn oder in die Tschechoslowakei war, um in den Westen zu gelangen. Meine zwei Mitbewohnerinnen und ich sind sogar noch am Tag nach dem Mauerfall zum Unterricht zur Hochschule. Wir hatten die Nachricht zwar früh im Radio gehört, aber das nicht ernst genommen. In unserer WG gab es weder Fernsehen noch Telefon. Als klar war, dass das stimmt, sind wir vorsichtshalber erst einmal ein Visum holen gegangen und anschließend in einem völlig überfüllten Zug nach Berlin gefahren. Der Bahnhof Zoo war das Erste, was ich gesehen habe. Ich erinnere mich noch gut an den Geruch: ein Gemisch aus müffelnder Bahnhofstoilette und dem Bratfett einer Dönerbude. 1994 habe ich mein Studium in Leipzig beendet. Die Frage, ob mein Leben anders verlaufen wäre, wenn die Mauer nicht gefallen wäre, bleibt offen.
Im Abiturzeugnis vom 30. Juni 1989 stand:
Ihre besonderen Interessen und Stärken liegen auf sprachlichem, gesellschaftswissenschaftlichen und künstlerischem Gebiet. Hier besitzt sie ein umfangreiches, anwendungsbereites Allgemeinwissen und gestaltet den Unterricht schöpferisch mit. Im naturwissenschaftlichen Bereich fallen ihr die logische Durchdringung und die selbständige Erarbeitung des Stoffes nicht leicht. Sie arbeitete auch nicht immer gründlich und kontinuierlich genug, um vorhandene Wissenslücken zu schließen. Susann äußerte zu allen Fragen offen und ehrlich ihre Meinung, setzte sich kritisch mit Mängeln auseinander und vertrat konsequent ihren Standpunkt. Sie war immer um die parteiliche Wertung politisch-ideologischer Probleme bemüht. Als Leiterin des Schulklubs setzte sie ihre vielfältigen kulturellen und künstlerischen Ideen und Fähigkeiten für eine interessante Gestaltung des außerunterrichtlichen Lebens an der Schule ein.
Quelle: DIE ZEIT, Jahrgang 2014 Ausgabe: 46
DIE ZEIT gibt fälschlicherweise Rostock als Geburtsort an. Hier: korrigiert.